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Interview

„Es geht darum, Menschen zu berühren – im Herzen, im Körper, in der Seele."

Kumi Naidoo ist eine der prägendsten Stimmen für Klimagerechtigkeit und Menschenrechte weltweit. Bei der diesjährigen Doxumentale durften wir ihn zur Vorführung von Wild Coast Warriors begrüßen. Gemeinsam sprachen wir über die Kraft des Storytellings als politisches Werkzeug – und darüber, wie Bewegungen wie der Amapondo-Widerstand zeigen, dass aus Mut und gelebter Solidarität wirksamer Widerstand entstehen kann.

umwelt
menschenrechte
Ida Hausdorf
03.07.2025

Kumi Naidoo ist Präsident der Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty Initiative und eine führende Stimme der neu gegründeten Global Artivism Movement, die Kunst, Kultur und Aktivismus miteinander verbindet. Der südafrikanische Menschenrechts- und Umweltaktivist war zuvor Generalsekretär von Amnesty International sowie Geschäftsführer von Greenpeace International (2009–2015). Mit jahrzehntelanger Erfahrung an den Schnittstellen von Gerechtigkeit, Ökologie und Widerstand gehört er zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung.

Bei der diesjährigen Doxumentale durften wir Kumi Naidoo zur Vorführung des Films Wild Coast Warriors begrüßen. Vor dem Screening und dem anschließenden Q&A hatten wir die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch mit ihm.

Presented by Transparency International

„Wild Coast Warriors“ war einer der Filme, die von Transparency International im Rahmen von Films 4 Transparency präsentiert wurden – dem weltweit ersten und einzigen Dokumentarfilmprogramm, das sich ausschließlich dem Kampf gegen Korruption widmet.

Transparency International ist eine globale Bewegung, aktiv in über 100 Ländern, die Korruption bekämpft und Mächtige zur Rechenschaft zieht. Mit F4T – einem Programmbestandteil der International Anti-Corruption Conference (IACC) – nutzt sie die Kraft des Kinos, um Missstände sichtbar zu machen, Bewusstsein zu schaffen und Aktivist*innen, Filmschaffende und Publikum weltweit zu vernetzen.

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—Welche Rolle spielt Storytelling wie in Wild Coast Warriors, wenn es darum geht, Bewusstsein zu schaffen und Widerstand aufzubauen?

Kumi Naidoo: Die Geschichte der Wild Coast Warriors ist eine zutiefst inspirierende – für Südafrika, für Afrika und für die Welt. Sie zeigt, dass selbst wenn man es mit übermächtigen Konzernen zu tun hat, ein vereintes und gut organisiertes Kollektiv bestehen kann. Die betroffene Community hat Schreckliches erlebt – es gab Tote, Menschen wurden gefoltert, sie waren massiver Gewalt ausgesetzt. Und trotzdem haben sie nicht aufgegeben. Sie stehen immer noch – stark und standhaft.

Filme, Dokumentationen, Musik, Theater – all diese Formen haben eine besondere Fähigkeit: Sie erzählen Geschichten nicht nur mit Fakten für den Kopf, sondern sprechen auch Herz, Körper und Seele an. Sie machen spürbar, was Worte allein nicht schaffen – und sie können Menschen bewegen, sich für Gerechtigkeit einzusetzen.

Gerade im Aktivismus wurde die Macht des Erzählens lange unterschätzt. Als ich bei Greenpeace war, haben wir deshalb den Titel „Director of Communications“ bewusst in „Director of Storytelling“ geändert. Aber auch heute stehen viele Organisationen erst am Anfang, das Potenzial von Kunst und Kultur wirklich zu nutzen.

Lassen Sie mich klar sagen: Die Kraft von Kunst und Kultur allein wird die Klimakrise nicht aufhalten. Aber wenn wir sie nicht nutzen, ist die Niederlage beinahe vorprogrammiert.


—Warum ist es heute so wichtig, Umweltaktivistinnen als Menschenrechtsverteidigerinnen anzuerkennen?

Umweltaktivistinnen sind Menschenrechtsverteidigerinnen. Denn was verteidigen sie? Wasser, Land, Lebensgrundlagen – also genau das, wovon menschliches Leben abhängt. Die traurige Realität: Laut Global Witness werden derzeit weltweit jede Woche vier Umweltaktivist*innen ermordet. Jede Woche. Vor zehn, fünfzehn Jahren waren es noch zwei pro Woche. Es zeigt, wie drastisch sich die Lage zuspitzt, je tiefer wir in die Klimakrise geraten.

Je knapper die Ressourcen werden, desto brutaler agieren jene, die an Macht und Profit festhalten wollen. Und diese Brutalität kann nur mit Liebe, Mut, Entschlossenheit und Klarheit beantwortet werden – mit einem klaren Fokus auf das Wohl unserer Kinder und ihrer Kinder.

Denn machen wir uns nichts vor: Der Kampf gegen die Klimakrise ist kein „Kampf um den Planeten“. Der Planet braucht keine Rettung. Was meine ich damit? Wenn wir weiter Wasserquellen vergiften, Böden zerstören und die Erde aufheizen, dann wird der Mensch irgendwann keine Nahrung mehr produzieren können. Und das heißt: Wir werden verschwinden. Die Erde bleibt. Die gute Nachricht für alle, die sich Sorgen um den Planeten machen: Wenn wir als Spezies aussterben, erholt sich das Ökosystem. Die Ozeane werden sich regenerieren. Die Wälder werden zurückkehren.

Wir müssen begreifen: Der Kampf gegen die drohende, unumkehrbare Klimakatastrophe ist nichts anderes – und nichts weniger – als der Schutz unserer Kinder und ihrer Zukunft.

– Wie macht der Amapondo-Widerstand die Verbindung zwischen indigener Identität und Umweltschutz sichtbar?

Wenn wir auf die Geschichte blicken – und darauf, wer Geschichte schreibt –, dann sind das meist die dominanten Nationen dieser Welt, in der Regel aus dem Globalen Norden. Übrigens: Die Bevölkerung dieser reichen, industrialisierten Länder macht nur etwa 12 % der Weltbevölkerung aus. 88 % leben im sogenannten Globalen Süden.

Wenn wir uns den Kampf des Amapondo-Volkes anschauen, sehen wir: Sie konnten sich behaupten. Und sie taten das mit indigenem Wissen, mit uraltem Erfahrungswissen und überlieferten Praktiken.

Ich sage den Menschen oft: Stellt euch vor, wir würden die Klimakrise nicht aufhalten. Und am Ende versammeln sich die letzten überlebenden Menschen auf der Erde und sagen: „Bevor wir sterben, lasst uns eine Kapsel bauen, die die Geschichte der Menschheit festhält. Vielleicht hilft sie künftigen Generationen, unsere Fehler nicht zu wiederholen.“
In dieser Kapsel müsste unbedingt eines stehen: Diejenigen, die der Kolonialismus als „zivilisiert“ bezeichnete – und diejenigen, die er „unzivilisiert“ nannte –, das war in Wahrheit genau andersherum.

Die wirklich zivilisierten Völker sind jene, die verstanden haben: Wenn die Menschheit auf diesem Planeten überleben will, muss sie in einer wechselseitigen, respektvollen Beziehung zur Natur leben. Wir müssen erkennen, dass die Natur Teil von uns ist – nicht etwas Getrenntes. Etwas, das nicht beherrscht, sondern geschützt werden muss.

Wenn wir das nicht tun, zerstören wir genau die Ressourcen – das Wasser, die Luft, die Böden –, die wir zum Leben brauchen.

Indigene Gemeinschaften auf der ganzen Welt sagen das seit fast einem Jahrhundert:
„Wenn der letzte Fisch gefangen, der letzte Fluss vergiftet und der letzte Baum gefällt ist – dann erst wird der Mensch erkennen, dass man Geld nicht essen kann.“

Fossile Brennstoffe – Öl, Kohle und Gas – sind für 86 % der Ursachen der Klimakrise verantwortlich. Um Öl wurden viele Kriege geführt – in der Vergangenheit und heute noch. In Zukunft werden es Kriege um Wasser sein – denn Wasser ist für unser Überleben zentral.

Und weltweit – von Afrika über Lateinamerika bis Asien – sind es indigene Gemeinschaften, die heute den Weg weisen. Und das Erstaunliche ist: Trotz Völkermord, trotz Verfolgung, trotz gezielter Auslöschung, haben jene, die überlebt haben, eine unglaubliche Resilienz, einen unerschütterlichen Mut, eine inspirierende Kraft gezeigt.

Wir täten gut daran, uns an diesem Wissensschatz zu orientieren – statt an jenen Denkweisen, die auf Ausbeutung, Extraktivismus und Profit über Menschenrechten beruhen.


– Welche Formen von Solidarität – lokal und global – braucht es heute für Bewegungen wie die der Amapondo?

Zunächst einmal: Internationale Solidarität ist dringend notwendig.

Die Klimakrise und die damit verbundene Ungerechtigkeit kennen keine nationalen Grenzen.
Ein Land kann alles richtig machen – keine Emissionen, keine Förderung fossiler Energien –, und trotzdem wird es die Folgen spüren.

Afrika zahlt schon jetzt einen hohen und brutalen Preis für die Klimakrise – obwohl der Kontinent am wenigsten dazu beigetragen hat.

Was es braucht, ist Druck – von innen heraus, in den mächtigen Ländern, in denen viele dieser globalen Konzerne sitzen, die sich an der Ausbeutung beteiligen. Die Menschen in diesen Ländern müssen ihre Regierungen und Unternehmen zur Rechenschaft ziehen. Denn viele dieser Firmen geben sich in den Niederlanden, Großbritannien oder den USA recht gesetzestreu – nicht vollkommen, aber immerhin.
Doch „weit weg“ verhalten sie sich auf die schlimmstmögliche Weise.

Man denke nur an das Ogoni-Volk in Nigeria – wie sie ermordet wurden, wie ihre Führung ausgelöscht wurde, wie ihre Lebensgrundlagen zerstört wurden. Warum kennen wir diese Geschichte überhaupt?

Weil Menschen in den Niederlanden und anderswo Klagen gegen Shell eingereicht haben. Weil dieser Druck öffentlich wurde. Und ja – es gab Urteile gegen Shell und andere.
Aber die traurige Wahrheit ist: Shell bohrt immer noch in der Niger-Delta-Region – mit denselben Methoden.

Solidarität braucht viele Formen:
Bewusstsein schaffen. Druck auf Unternehmen ausüben. Aktionär*innen auffordern, Verantwortung zu übernehmen.

Und: Wenn Produkte aus Regionen kommen, in denen Ausbeutung stattfindet – etwa wenn Regenwaldholz zu Möbeln verarbeitet und in Europa verkauft wird – dann sagen wir:
Kauft das nicht.

Nutzt eure Kaufkraft. Nutzt eure Stimme. Nutzt euren Zugang zu Institutionen wie der Weltbank oder der UNO – und stellt euch an die Seite derer, die am meisten betroffen sind.


– Haben Sie noch letzte Worte, oder etwas, was sie unseren Zuschauer*innen mit auf den Weg geben möchten? 

Es ist bemerkenswert: Wir verhandeln nun seit 30 Jahren über ein internationales Klimaabkommen.

Und obwohl 86 % der Klimakrise durch unsere Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas verursacht werden, hat es 28 Jahre gedauert, bis auf einer der sogenannten UN-Klimakonferenzen (COPs – Conference of the Parties) überhaupt das Wort „fossile Brennstoffe“ in einem offiziellen Dokument erwähnt wurde.

Das ist in etwa so, als würden die Anonymen Alkoholiker 28 Jahre lang Konferenzen abhalten – ohne jemals das Wort „Alkohol“ in den Mund zu nehmen.

Warum das so ist? Wenn ich bei dem Bild bleibe:
Die größte „Delegation“ bei jeder COP – größer als die der USA, der EU oder des UK – ist die der Lobbyist*innen der fossilen Industrie.

Und deshalb müssen wir heute erkennen: Die Führungen der fossilen Industrie nehmen in unserer Zeit denselben Platz ein wie einst die Sklavenhalter in einer anderen Ära.
Sie sind die Sklavenhalter von heute.

 

Ida Hausdorf
Content & Multimedia Lead

Ida ist Multimedia-Redakteurin, Social-Media- und Impact-Strategin mit einem ausgeprägten Gespür für digitales Storytelling. Mit einem Hintergrund in Psychologie und Kommunikation (B.A.) sowie einem Master in Medien und Kultur verbindet sie fundiertes Wissen mit kreativer Umsetzung. Durch ihre vielseitigen Erfahrungen in verschiedenen crossmedialen Projekten und Kampagnen ist sie eine Allrounderin im Bereich digitaler Kommunikationsstrategien und multimedialem Storytelling.

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