© Filmstill The Dialogue Police
Mitten im Chaos eskalierender Proteste stellt sich eine kleine Spezialeinheit der schwedischen Polizei mit einer ungewöhnlichen Mission zwischen die Fronten: Sie wollen reden. In diesem Interview geben Regisseurin Susanna Edwards und Protagonist Calle Ahlström spannende Einblicke in die Entstehung von „The Dialogue Police“.
Susanna: Eine Freundin hat mir während des Wahlkampfs 2018 von der Dialogeinheit der Polizei erzählt. Sie war spät unterwegs und ist in einer Bar auf ein paar Beamte gestoßen – eine ziemlich verrückte Begegnung. Ich hatte vorher noch nie von der Dialogeinheit gehört und war sofort neugierig: Was ist das für eine Einheit, die nur bei öffentlichen Versammlungen und politischen Ereignissen im Einsatz ist? Also habe ich die Kommunikationsabteilung der schwedischen Polizei kontaktiert. Ungefähr 45 Minuten nach dem Abschicken meiner E-Mail hat mich Calle angerufen. Er meinte: „Lass uns treffen und reden.“ Das Timing war perfekt – sie hatten gerade selbst das Bedürfnis, ihre Arbeit sichtbarer zu machen. Als ich mich dann umgehört habe, kannte tatsächlich niemand in meinem Umfeld diese Einheit. Trotzdem hat es fast ein Jahr gedauert, bis ich vollständige Drehgenehmigungen hatte.
Calle: Ja, das war wirklich ein langer Prozess. Susanna hat von Anfang an gesagt, dass sie es richtig machen will. Klar, sie hätte uns einfach draußen bei Einsätzen filmen können. Aber sie wollte auch Einblicke hinter die Kulissen – unsere Büros, Besprechungen, alles. Dafür mussten wir Genehmigungen beantragen, und die haben intern fast ein Jahr lang die Runden gemacht.
Susanna: Diese lange Vorlaufzeit hatte aber auch einen Vorteil: Wir konnten uns in Ruhe kennenlernen. Es gab viele Gespräche – E-Mails, Telefonate, Treffen – und dadurch ist Vertrauen entstanden. Für mich war es wichtig zu spüren, dass sie wirklich Teil dieses Films sein wollten. Das hat einen großen Unterschied gemacht.
Calle: Die Einheit der Dialogpolizei gibt es jetzt seit 24 Jahren, und ich bin seit 13 Jahren dabei. Wir haben immer im Hintergrund gearbeitet – natürlich auf der Straße, aber leise, ohne große Öffentlichkeit. Während der Pandemie haben wir uns dann gefragt: Andere Polizeieinheiten werden ständig bei der Arbeit gefilmt – warum eigentlich nicht wir? Also haben wir gesagt: Lass es uns versuchen. Und wir hatten von Anfang an ein gutes Gefühl bei Susanna.
Susanna: Was man dabei auch nicht vergessen darf: In Schweden gibt es keine Zensur. Keine staatliche Stelle kann mir vorschreiben, was ich rausschneiden muss. Alles, was ich gefilmt habe, durfte ich so verwenden, wie ich es für richtig hielt. Das ist in vielen anderen Ländern ganz anders.
Calle: Die Idee entstand nach dem EU-Gipfel in Göteborg im Jahr 2001, der in gewaltsamen Ausschreitungen endete. Ich war damals als junger Polizist vor Ort. Die Stadt sah danach aus wie ein Kriegsgebiet. Es folgte eine der größten staatlichen Untersuchungen in der Geschichte Schwedens. Das Ergebnis: Die Polizei müsse die Gesellschaft besser verstehen – und lernen, wie man mit ihr kommuniziert.
Die Politik hat uns damals beauftragt, einen neuen Ansatz zu entwickeln – mit Fokus auf Dialog. Zunächst wurde das an die Verhandlungsgruppe für Geiselnahmen übertragen. Ein Beamter in Stockholm, der auch Forscher war, begann dann, sich mit der Psychologie von Menschenmengen zu beschäftigen. Seitdem haben wir uns von reiner Kontrolle hin zu „Crowd Management“ entwickelt – unter anderem mit Konzepten wie der sozialen Identitätstheorie oder dem Elaborated Social Identity Model.
Das Problem ist: Auch wenn die Verfassung dir das Recht gibt, auf der Straße zu demonstrieren, stehst du oft einer Reihe von Polizist*innen gegenüber – Helme, Schutzschilder, schwarze Uniformen, volle Ausrüstung. Und die stehen einfach da und schauen dich an. Das wirkt bedrohlich. Und oft weiß selbst die Polizei nicht genau, warum eine bestimmte Gruppe gerade demonstriert.
Deshalb suchen wir gezielt den Dialog – wir gehen auf Menschen zu, stellen Fragen. Unser Ziel ist es, dieses Wissen wieder in die Organisation zurückzubringen: Warum ist diese Gruppe heute hier? Warum nächsten Samstag? Was wollen sie? Es geht darum, Verständnis zu schaffen und Wissen aufzubauen.
Und wir sehen, dass das etwas bringt. In den letzten 15 bis 20 Jahren brauchten wir bei Versammlungen weniger Einsatzkräfte, es gab weniger Ausschreitungen und weniger Verletzte – sowohl auf Seiten der Demonstrierenden als auch bei der Polizei. Die Wirkung ist also spürbar. Das schwedische Modell gilt international als Erfolgsbeispiel und wird weiterhin wissenschaftlich untersucht. Aber natürlich gibt es immer noch Herausforderungen – es kommt weiterhin zu Ausschreitungen, zu Spannungen. Denn Gesellschaft verändert sich – und Veränderung bringt immer Reibung mit sich.
Calle: Ja, das kann tatsächlich schwierig sein. Als Dialogpolizist*innen bringen wir eine andere Perspektive mit. Wir sind gute Kommunikator*innen – aber genauso wichtig: Wir können gut zuhören. Was wir bei Demonstrationen hören, tragen wir zurück ins System Polizei.
Wenn ich intern Bedenken äußere, höre ich manchmal so etwas wie: „Ach, jetzt kommt Calle wieder.“ Aber das gehört dazu. Wir sprechen nicht für uns selbst – wir geben weiter, was die Menschen draußen denken. Trotzdem: Es ist nicht immer einfach.
Susanna: Man darf auch nicht vergessen, dass Dialogpolizist*innen den Menschen helfen, ihre Versammlungen überhaupt durchzuführen – sie unterstützen sie dabei, ihre Pläne umzusetzen. Sie sind nicht einfach Beobachter*innen, sondern echte Vermittler*innen.
Susanna: Nein. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Film über die Polizei mache. Ich dachte eigentlich, das Thema interessiert mich gar nicht besonders. Aber diese Einheit war anders – eine Art Bindeglied zwischen Bürger*innen und staatlicher Autorität, von der die meisten gar nichts wissen. In einer Zeit, in der Demokratien weltweit zunehmend unter Druck stehen, ist es unglaublich wichtig, Dialog und Diplomatie zu stärken. Diese Art von Polizeiarbeit kann tatsächlich demokratische Rechte festigen.
Susanna: Mich hat beeindruckt, wie viel Mühe sie sich geben, alle Menschen gleich zu behandeln. Das ist nicht leicht, aber es ist ihr erklärtes Ziel. Ich habe gesehen, wie sie versuchen, Raum für alle Stimmen zu schaffen – ganz unabhängig davon, welche Botschaft dahintersteht. Und einige der Dialogpolizist*innen haben offen ihre eigene Behörde kritisiert, wenn diese sich nicht an das Gesetz gehalten oder Menschen ungleich behandelt hat. Das führt zu Spannungen. Manchmal hat die Einsatzleitung eine ganz andere Vorstellung davon, wie mit einer Demonstration umzugehen ist als die Dialogeinheit. In solchen Fällen haben die Dialogpolizist*innen nichts zu sagen und müssen sich der Führung beugen. Dadurch leidet dann natürlich auch das Vertrauen der Gruppen in sie – und das kann sehr frustrierend sein. Der Job ist wirklich nicht einfach, aber es war faszinierend, Einblick darin zu bekommen.
Calle: Die Leute fragen uns oft, ob wir speziell in Geduld geschult werden. Aber ich glaube, es liegt vor allem daran, dass wir eine klare Rolle haben. Wir sprechen mit den Menschen, erklären das Gesetz, helfen ihnen, sich auszudrücken. Und das schafft gegenseitiges Verständnis. Ich habe schon mit allen möglichen Menschen gesprochen – manche würden sie vielleicht als Extremist*innen bezeichnen –, aber sie sind trotzdem Bürger*innen. Und sie haben das Recht, zu demonstrieren.
Natürlich gibt es auch emotional belastende Situationen. Wir stützen uns gegenseitig im Team, und manchmal holen wir uns auch externe Hilfe. Aber wir alle glauben an das, was wir tun. Wir sind da vielleicht ein bisschen nerdig – aber wir wollen die Gesellschaft ein Stück besser machen.