© Dovile Sermokas
Gewinnerin des Dokumentale-Buchpreises 2024 Tara Paighambari studierte Molekularbiologie, arbeitete als Unternehmensberaterin, hat ein eigenes Start-up gegründet und betreibt zwei Cafés. In ihrem Buch hat sie ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben – eine Geschichte von Neuanfängen, Mut und Liebe.
Für Menschen, die dein Buch noch nicht gelesen haben, kannst du kurz die wichtigsten Themen vorstellen?
Das Hauptthema ist Flucht. Es geht um das Leben, die Beweggründe und die Wege von Menschen, die fliehen müssen. Es geht um ihre Ängste und Sorgen. Um das Thema Flucht herum sind es unternehmerische Themen, die eine große Rolle spielen: “Warum gründen Menschen? Was bringt es einem?” Viel geht es auch um sozialdemokratische Themen: Wie können wir als Gesellschaft wieder zusammen finden? Warum driften wir immer weiter auseinander? Das vierte Thema ist Mut: Warum wir keine Ängste haben sollten und mutig sein können. Warum sich Mut manchmal wie Angst anfühlt, aber dass man sich bloß nicht davon täuschen lassen sollte.
Welche Rolle spielt Mut in deiner persönlichen Geschichte und in deinem Buch?
Ich wusste vorher gar nicht, dass ich ein sehr mutiger Mensch bin. Das hat sich mir über die Jahre selbst erst gezeigt. Ich glaube, Mut fühlt sich oft wie Angst an. Es ist ein herausfordernder Moment. Man muss etwas, was man gewohnt ist, eine vertraute Situation, verlassen, um dann etwas Neues zu starten oder vielleicht auch, um in Altbewährtes zurückzukehren. Ich glaube, Mut hat viel mit Aufbruch zu tun. Und mit Veränderung. Und das treibt mich an; es ist Teil meiner DNA.
Was sind deine größten Kraftquellen?
Ich bin ein gläubiger Mensch und daraus kann ich viel Kraft ziehen. Ich gehöre keiner Religionsgemeinschaft an, sondern ziehe meinen Glauben aus allem, was ich aus den diversen Religionen gelernt habe. Ich finde schön zu sehen, wie einig sie sich dann wohl doch im Kern alle sind. Ich bin auch ein sehr achtsamer Mensch. Daraus kann ich meinen Mut und meine Kraft schöpfen. Ich habe aber auch ein sehr stabiles Umfeld. Ich bin schon sehr lange mit meinem Mann, der auch eine Hauptrolle in meinem Buch spielt, zusammen. Das ist ein stabiles Gerüst. Da braucht es schon recht viel, dass man mich letztendlich umhauen kann. Da bin ich meinem Mann sehr dankbar für.
Wie hat sich das für dich angefühlt, deine persönliche Geschichte aufzuschreiben? Hast du dabei anders auf dein eigenes Leben zurückgeblickt?
Ich habe auf jeden Fall anders auf mein eigenes Leben zurückgeblickt. Mir war gar nicht klar, was ich eigentlich geleistet habe. Das wurde mir erst so richtig bewusst, als ich es dann auf 225 Seiten selber gelesen habe. Als das Buch fertig war, habe ich unglaublich viel geweint. Weil mir dann plötzlich die Schwere bewusst geworden ist. Ich habe zu meinem Mann gesagt, dass es sich anfühlt, als würde ich die Lasten plötzlich spüren, die ich immer ignoriert habe. Aber das gehört auch alles dazu. Man wird nicht so ein unängstlicher Mensch, wie ich, wenn man diese Erfahrungen nicht gemacht hat. Ich habe vier Tage lang geglaubt, dass mein Mann auf dem Mittelmeer ertrunken ist. Wenn dir das mit 20 Jahren passiert, dann bist du nicht mehr so einfach umzuhauen. Ich habe mir, als mein Buch fertig war, selber auf die Schulter geklopft, für so viel Durchhaltevermögen.
Und dann habe ich noch etwas anderes verstanden: Die Leute haben keine Ahnung. Die wissen gar nicht, was Menschen auf der Flucht durchmachen. Weil ich so sehr in dieser Realität gelebt habe, dachte ich, das muss doch jedem klar sein. Bis heute ist das so, dass wenn ich irgendwo spreche, die Menschen zu mir kommen und sagen, dass sie das nicht wussten. Damit habe ich wirklich gar nicht gerechnet.
Auf der anderen Seite ist mir bewusst geworden, wie viele Menschen mit Themen strugglen, die vielleicht gar nicht in meine Thematik Migration & Asyl passen und die aber trotzdem irgendwie zusammengehören.
Wie erinnerst du dein Ankommen in Deutschland? Wie blickst du auf deine kindlichen Eindrücke heute als erwachsene Person zurück?
Es sind Fragmente, die sich in die Seele eingebrannt haben. Bei mir wurde eine Hochsensibilität festgestellt und da habe ich verstanden, warum ich mich so gut an Gerüche und Gefühle erinnern kann. Das Ankommen war kalt und nass. Es war Oktober. Ich weiß noch, dass ich dachte, dass meine Eltern etwas “böses” angestellt haben. Denn mein Vater war noch im Iran im Gefängnis und konnte nicht mitkommen. Es hat gedauert, bis ich verstanden habe, dass meine Eltern sich für Menschenrechte eingesetzt haben. In meinem Gefühl sind wir aus diesem wunderschönen Haus aus Nord-Teheran in diese Lagerhalle in Reinickendorf gekommen. Dort gab es Schimmel an der Wand und in den Räumen sind Eiszapfen gewachsen, so kalt war es.
Aber man kann heilen und positiv in die Zukunft gehen. Das ist meine Grundeinstellung. Aber ich hatte auch tolle Freundinnen, denen ich unglaublich viel verdanke. Meine Freundin Sarah habe ich mit neun kennengelernt. Sie hat mir geholfen, mich zu integrieren. Das geht nur, wenn beide Seiten mitmachen und sie hat wirklich mitgemacht. Als wir älter waren, hat sie bei uns zu Hause auf dem Teppich Tee getrunken und ich habe mit ihren Eltern angestoßen. Sonst habe ich eher eine sehr frustrierende, kahle und diskriminierende Erinnerung an meine Kindheit, vor allem an die Sachbearbeiter*innen im Heim.
Was war der Moment, in dem du entschieden hast, deine Geschichte aufzuschreiben?
Es gab zwei sehr entscheidende Momente. Einmal war es 2010, als mein Mann auf der Flucht war und wir diesen Weg gegangen sind. Wir haben danach viel gelacht und gesagt: Daraus werden Hollywood-Filme gemacht. Aus diesen Geschichten, die wirklich passieren.
Der zweite, letztendlich entscheidende Moment war, dass mir der Berlin Verlag das Angebot gemacht hat, nachdem sie meine Lebensgeschichte gehört haben. Sie hatten großes Interesse und dafür bin ich sehr dankbar.
Und zusätzlich hatte ich natürlich die politische Weltlage im Hinterkopf. Das, was ich weiß, erfahren und gelernt habe, wissen nicht alle. Ich möchte mit meiner Geschichte einen Weg aufzeigen, auf dem Integration und Solidarität geklappt haben. Denn von Geschichten wie meiner gibt es viele.
Eine Frage zum Schreibprozess: Du gehst sehr offen damit um, dass du einen Co-Autor hast. Wie war die Zusammenarbeit?
Ich bin Legasthenikerin und bin nicht in der Lage fehlerfrei zu schreiben. Darunter leidet oft auch meine Grammatik. Das sagt gar nichts darüber aus, ob man Schriftsteller*in oder Autor*in werden kann. Ich wusste das aber nicht. Von Anfang an habe ich mit offenen Karten gespielt und dann wurde mir ein Co-Autor zur Seite gestellt. An sich machen das viele Autor*innen, dass sie sich da Unterstützung holen. Aber selten geben Menschen das im Anschluss öffentlich zu.
Oliver Kobold und ich haben uns mehrfach getroffen und viel über die Geschichte gesprochen. Ich bin sehr dankbar, denn es hat wirklich sehr gut gepasst mit ihm. Es war uns wichtig, die Cafés und die Lebensgeschichten der Menschen auf jeden Fall mit einzubeziehen. Denn das Buch basiert nicht nur auf meinem Gedankengut, sondern auf dem von einigen Menschen, die hier mit mir wirken. Er ist dann ins Schreiben gegangen und hat mir das erste Kapitel geschickt und ich musste weinen, weil das war ich. Wenn ich “Café der Freiheit” lese, dann bin ich das, es sind meine Worte. Es ist die Art und Weise, wie ich rede. Aber einige Kapitel, besonders zur Flucht und das Ende, habe ich selber viel mitgeschrieben. Der Schreibprozess hat ungefähr anderthalb Jahre gedauert und das ging nur so schnell, weil die Geschichte ja stand: mein Leben.
Du hast Molekularbiologie studiert, hast als Unternehmensberaterin gearbeitet und hast jetzt dein eigenes Start-Up und zwei eigene Cafés. Dein Buch heißt "Café der Freiheit”. Zwischen all den unterschiedlichen Dingen, die du getan hast, scheinen die Cafés also eine ganz besondere Rolle einzunehmen. Was bedeuten sie für dich?
In die Cafés sind wir durch den Familienbetrieb mit reingerutscht und haben die Nachfolge von meinem Onkel angetreten. Sie haben sich zum Zentrum unseres Lebens entwickelt. Mein Mann und ich sagen immer: Das sind unsere beiden Töchter. So sehen wir sie auch und so pflegen und lieben wir sie auch. Ich habe Probleme damit, wenn Menschen nicht in der Lage sind, sich Fehler einzugestehen und in den Cafés klappt das immer super. Die Menschen haben schnell festgestellt: Hier kann man nichts falsches sagen. Und wenn man etwas wirklich schlimmes sagt, dann gibt es klare Konsequenzen. Aber sonst gebe ich viel Raum für die Schatten zwischen Schwarz und Weiß. Es war wichtig, dass das Café und die Liebe, die diese Menschen hier einbringen, eine große Rolle spielen. Es geht um Freiheit und es geht um Gesellschaft und Demokratie und Weltpolitik und kein Ort ist da besser als ein Café. Cafés sind Orte des Seins, Orte der Demokratie und der Zivilgesellschaft. Dass wir in der Lage waren, als geflohene Familie diesen Raum für andere zu schaffen, macht mich sehr stolz.
Auf der Dokumentale hast du im Talk über “Heimat und Identität” gesagt: “Als Geflüchtete haben wir immer zwei Heimaten, aber ich definiere es ganz anders, für mich ist Heimat Erinnerungen und Gefühle, deshalb kann ich mich überall zu Hause fühlen”
Kannst du uns etwas mehr darüber erzählen, was Zuhause für dich bedeutet und was dir dabei hilft, dich überall zu Hause fühlen zu können?
Wir sind Weltmenschen. Ich sehe weniger Unterschiede und mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen. Ich sage immer, ist die Haut weg, dann ähneln sich die Knochen. Wahrscheinlich hilft mir dieser Gedankenansatz dabei, mich überall zu Hause zu fühlen.
Für mich zählen Gerüche und Gefühle sehr zu meinem Zuhause. An Deutschland erinnert mich immer Anis; das Gewürz, das in Glühwein reinkommt. Damit verbinde ich die Wärme des Winters. Wenn ich auf Bali eine Currywurst esse, dann bin ich hier in Berlin zu Hause. Auf der anderen Seite habe ich ganz oft Momente, in denen ich den Iran fühle. Rosenwasser zum Beispiel ist ganz typisch für den Iran, da muss ich immer an die Heimat denken. Und Hitze. Wenn es ganz heiß ist und man den Sand in der Luft riechen kann, dann ist das Teheran für mich.
Wie blickst du auf die aktuelle Situation im Iran?
Ich bleibe optimistisch. Doch es schmerzt mich sehr, dass so viele Menschen, auch Nicht-Iraner*innen gestorben sind. Blicken wir nach Palästina, nach Israel, in den Libanon, in die Ukraine. Und das wegen Konflikten, die von einigen wenigen Ländern verursacht wurden, unter anderem vom Iran. Das bringt mich immer mal wieder aus der Fassung. Ich wusste, dass die Mullahs viele Jahre lang die Bevölkerung anlügen, aber dass das weltweit auch viele andere Politiker*innen tun, war mir in dem Maße gar nicht bewusst. Mich schockiert die Schamlosigkeit der Politiker*innen weltweit über diese Art von Krisen zu sprechen und uns als Völker dieser Erde schamlos anzulügen.
Das alles wissend, denke ich auch, dass Dinge sich ändern werden. Es wurden im letzten Jahr im Iran viele terroristische Komplizen getötet. Das heißt, es wird eine Veränderung geben. Ich hoffe, dass es eine gute Veränderung sein wird. Sicherlich hängt die Situation jetzt auch sehr stark mit Syrien zusammen. Ich hoffe, dass die Region nicht auf andere Weise destabilisiert wird. Ich glaube sehr an die Aktivist*innen in den jeweiligen Ländern und ich glaube sehr an die Opposition. Wenn man sich die Geschichte des Irans anschaut, wird deutlich, wir sind Stehauf-Männchen. Wir neigen dazu, uns aufzulehnen und Veränderungen herbeizuführen. Die Menschenrechte kommen aus den Federn von Perser*innen. Ich habe große Hoffnungen. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem der Wind durch ihre Haare weht. Und das sagt Ferdowsi, einer der berühmtesten iranischen Dichter: wie der Phönix aus der Asche wieder auferstehen. Und das werden sie machen; wieder auferstehen. Dementsprechend bleibe ich optimistisch und gebe mein Bestes von hier aus, um sie in ihrem Kampf zu unterstützen.
Wie können wir hier in Deutschland die Kämpfe der iranischen Frauen unterstützen?
Offener werden für Diskurse und für Themen. Wir müssen als Gesellschaft den Blick öffnen, die emotionale Empathie weiter zu öffnen anstelle von einem Tunnel. Das würde der Sache schon sehr helfen, denn alle Menschen haben es verdient, dass man gleich empathisch mit ihnen ist.