Patrick Alley deckt seit über dreißig Jahren auf, wie Blutgeld fließt, Wälder illegal gerodet und Konzerne zu Komplizen werden. Bei der diesjährigen Doxumentale sprachen wir mit dem Global-Witness-Mitgründer über die Strategien der Machterhaltung, warum Aufklärung allein nicht reicht – und was es braucht, um die Strukturen globaler Korruption sichtbar zu machen.
Patrick Alley ist Mitbegründer von Global Witness – einer Organisation, die seit über 30 Jahren groß angelegte Korruption, illegalen Holzeinschlag und die globalen Netzwerke dahinter aufdeckt. In seinem aktuellen Buch Terrible Humans erzählt Alley packende, wahre Geschichten darüber, wie sich Macht schützt – und welchen Preis es haben kann, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Patrick Alley: Ich glaube, was mich bis heute schockiert, ist die Tatsache, dass das Geld, das Korruption ermöglicht – also die Wurzel der Korruption –, sehr oft aus der reichen Welt kommt. Aus Ländern mit theoretisch funktionierenden Rechtssystemen, mit Gewaltenteilung und Kontrollmechanismen. Und doch wird gerade dort ein Teil der schlimmsten Korruption verübt – und zwar von einigen der bekanntesten und angesehensten Unternehmen der Welt. Besonders in der Ölindustrie.
Wir haben viele mächtige Menschen aufgedeckt – mit gemischten Ergebnissen. Ja, gegen einige wurden Sanktionen verhängt, zum Beispiel gegen Dan Gertler, einen israelischen Bergbaumagnaten im Kongo. Es gab Fälle, in denen Eigentum beschlagnahmt wurde, Menschen verhaftet und vor Gericht gestellt wurden. Sogar der UN-Sicherheitsrat hat vor vielen Jahren Sanktionen gegen ein Land – Liberia – verhängt.
Also: Es gibt Erfolge. Aber die Menschen, denen wir uns stellen, haben mächtige Anwält*innen und einflussreiche Verbündete. Und unsere Trefferquote ist längst nicht so hoch, wie sie sein müsste.
Als wir 1995 mit unseren ersten Recherchen in Kambodscha begannen, wussten wir nichts über Korruption – das war für uns gar kein Thema.
Dann stießen wir auf einen Deal. Wir untersuchten den Holzhandel zwischen den Roten Khmer und Thailand und bekamen einige Briefe zugespielt – von den kambodschanischen Premierministern an den thailändischen Verteidigungsminister. Darin baten sie um die Genehmigung, eine Million Kubikmeter Regenwaldholz nach Thailand zu exportieren.
Das hätte den Roten Khmer 90 Millionen Dollar eingebracht – und der kambodschanischen Regierung 35 Millionen. Im Grunde also zwei verfeindete Bürgerkriegsparteien, die sich zusammenschlossen, um Geld zu verdienen. Das war zutiefst schockierend – und es war das erste Mal, dass ich direkt mit Korruption konfrontiert war. Ich begriff ziemlich schnell, dass Korruption fast überall eine Rolle spielt.
Sehr oft kommen sie zu uns. In manchen Bereichen, die wir untersuchen, ist es nahezu unmöglich, ohne Whistleblower oder Leaks an Informationen zu gelangen. Unternehmen oder Banken sagen einem gar nichts.
Aber auch im Zuge unserer Recherchen vor Ort: Wenn wir in ein Land reisen und mit möglichst vielen Menschen sprechen, kommt es vor, dass jemand Informationen hat – aber nicht weiß, an wen er oder sie sich wenden soll. Und sobald sich herumspricht, dass wir da sind, wird diese Person vielleicht zur Quelle, weil sie plötzlich einen Kanal hat, um etwas weiterzugeben.
Es ist extrem schwierig, Netzwerke von anonymen Briefkastenfirmen oder verdeckte Geldflüsse zu entwirren. Im Gegensatz zu Strafverfolgungsbehörden haben wir keine Möglichkeit, Vorladungen zu erwirken.
Wir sind darauf angewiesen, dass uns jemand etwas zuspielt – und selbst dann ist das oft nur der Anfang. Einmal wurde uns z. B. ein Bankdokument zugespielt – ein sogenanntes SWIFT-Dokument mit Tausenden von Transaktionen. Man sagte uns: „Da sind auch korrupte dabei“, aber wir wussten nicht, welche.
Dann beginnt echte Detektivarbeit. Mit heutigen Methoden der Datenanalyse geht das einfacher – man sucht nach Mustern, zum Beispiel Firmen, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort gegründet wurden. Und dann gräbt man sich tiefer hinein. Es ist einfach mühsame, harte Recherchearbeit.
Sie gehen auf unterschiedliche Weise damit um. Eine ist, noch vorsichtiger zu werden, Dinge besser zu verschleiern. Aber oft fühlen sie sich schlicht unantastbar – sie sind so reich und mächtig, dass es ihnen egal ist.
Sie nutzen Gerichte, um rechtliche Schritte zu blockieren oder gar umzudrehen. Ein sehr aktueller Fall – an dem wir nicht beteiligt waren – betrifft die Serious Fraud Office in Großbritannien, die einen wichtigen Prozess gegen die Eurasian Natural Resource Corporation verloren hat. Nun muss die Behörde Hunderte Millionen an Schadenersatz zahlen.
Einige dieser großen Oligarchen haben so viele Ressourcen, dass sie selbst staatliche Ermittlungsbehörden finanziell überbieten können. Und das ist ein echtes Problem.
Ich hatte nie ethische Bedenken dabei, verdeckt zu ermitteln oder mit vertraulichen Quellen zu arbeiten – weil es uns dabei immer um Informationen im öffentlichen Interesse ging.
Diejenigen, die wir untersucht haben – das sind die, denen es an Moral mangelt, nicht wir.
Wichtiger ist meiner Meinung nach etwas anderes: der Schutz und die Vertraulichkeit der Quellen. Und natürlich der verantwortungsvolle Umgang mit den Informationen. Denn einiges davon ist relevant – anderes vielleicht nicht. Und da müssen wir sehr sorgfältig abwägen, was wir veröffentlichen.
Sie tragen eine große Verantwortung. Und ich habe das über die Jahre immer wieder erlebt.
Die Weltbank, die Vereinten Nationen – früher waren sie bei diesem Thema ziemlich kraftlos. Einfach weil es zu peinlich war. Man wollte keinen Staatschef oder hochrangigen Politiker bloßstellen. Also hat man die Probleme lieber ignoriert – und das ist das Schlimmste, was man tun kann.
Einer unserer Aufträge ist es daher, genau das zu verhindern: Sie sollen es nicht mehr ignorieren können. Wir halten es ihnen immer wieder vor Augen.
Was die Regierungen betrifft: Das ist unterschiedlich. Manche machen ihre Sache gut. Andere handeln nur, wenn man ihnen wirklich keine Wahl lässt.
Aber sehr oft liegt es nicht an den Regierungen selbst, sondern an den Strafverfolgungsbehörden – an denen, die tatsächlich Anklagen erheben. Es sind nicht die Regierungen – es ist die Justiz.
Durch die digitale Technologie müssen wir vorsichtiger sein – aber sie hat uns auch ganz neue Möglichkeiten eröffnet.
Heute können wir Dinge analysieren, die früher völlig undenkbar waren. Wenn man zum Beispiel drei Millionen Dokumente sichten muss, um ein Muster zu erkennen – was wir tatsächlich schon gemacht haben –, dann ist das heute machbar. Früher wäre das ausgeschlossen gewesen.
Gleichzeitig müssen wir darauf achten, wie man uns wahrnimmt. Aber ehrlich gesagt: Wir arbeiten sehr offen. Wir sind eine öffentliche Organisation. Wir veröffentlichen alles, was wir wissen – es gibt also kaum etwas, das andere über uns herausfinden könnten, was wir nicht schon selbst veröffentlicht haben.
Ich finde es großartig, hier auf diesem Festival in Berlin zu sein – so viele Menschen mit so vielen Interessen an einem Ort.
Die Ausstellung hier, zum Beispiel von Studierenden aus Serbien, über die massiven Proteste gegen die korrupte Regierung – sie gibt vielen erstmals Einblick in diese Themen. Und die Filmemacher*innen, die Filme, die hier entstehen – sie spielen eine entscheidende Rolle dabei, Bewusstsein zu schaffen.
Denn am Ende ist es die öffentliche Aufmerksamkeit, die den Unterschied macht. Öffentlicher Zorn – wenn ein Land demokratisch ist, dann fürchten sich Regierungen vor Wählerstimmen. Wenn Korruption zum Wahlkampfthema wird, verändert das etwas.
Und wenn es autokratisch ist? Dann bleibt nur eins: davon ausgehen, dass sie korrupt sind – und ihre dubiosen Konten öffentlich machen.