Dokumentale
  • Programm
  • D'Hub
  • Magazin
Tickets
  • EN
  • |
  • DE
  • EN
  • |
  • DE
Interview

„Hinter jeder Geschichte steckt etwas Größeres.“

Paul Radu ist Mitgründer des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP).

Wir durften ihn in diesem Jahr als Speaker bei der Doxumentale begrüßen und mit ihm über globale Korruptionsnetzwerke, die verschwimmende Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus – und darüber sprechen, warum nur grenzüberschreitende Zusammenarbeit die Strukturen offenlegen kann, die Macht schützen.

demokratie
journalismus
pressefreiheit
Kajo Roscher
07.07.2025

Paul Radu ist Mitgründer und geschäftsführender Direktor des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), einem globalen Netzwerk investigativer Journalist*innen, das hochrangige Korruption, Finanzkriminalität und die transnationalen Strukturen aufdeckt, die solche Verbrechen ermöglichen.

Presented by Transparency International

Radu war Teil der Paneldiskussion „Activism & Non-Fiction: A Conscious Collision“, die von Transparency International im Rahmen von Films 4 Transparency (F4T) präsentiert wurde – dem weltweit ersten und einzigen Dokumentarfilmprogramm, das sich dem Kampf gegen Korruption widmet.

Transparency International ist eine globale Bewegung, die in über 100 Ländern aktiv ist, um Korruption zu bekämpfen und Machtmissbrauch sichtbar zu machen.
Mit F4T – einem Programmbestandteil der International Anti-Corruption Conference (IACC) – nutzt sie die Kraft des Kinos, um Missstände aufzudecken, Bewusstsein zu schaffen und Aktivist*innen, Filmschaffende und Publikum über Grenzen hinweg zu vernetzen.

JETZT MEHR ERFAHREN!

Als Journalist, der Korruption aufdeckt – wo verläuft für Sie die Grenze zwischen Storytelling und Aktivismus, und wie verändert sich diese Grenze im Umgang mit mächtigen öffentlichen Akteuren?

Als investigativer Journalist und Mitgründer des Organized Crime and Corruption Reporting Project sehe ich unsere Arbeit nicht als Aktivismus. Investigativer Journalismus ist kein Aktivismus – aber er ist Teil einer größeren, umfassenderen Erzählung, in der Aktivismus durchaus eine Rolle spielt.

In meiner Organisation arbeiten wir deshalb gezielt mit Aktivistinnen zusammen, um die Wirkung investigativer Recherchen zu verstärken – das nennen wir evidenzbasierten Aktivismus.
Journalistinnen liefern die Beweise, und Aktivist*innen nutzen diese, um ihre Kampagnen, ihre Argumentation, ihren Aktivismus darauf aufzubauen.

Diese Synergie – dieses Zusammenspiel von investigativem Journalismus und Aktivismus – ist sehr kraftvoll und gehört letztlich auch zur Geschichte, die erzählt wird. Aber der investigative Journalismus für sich genommen ist kein Aktivismus.
 

Welches Grundprinzip sollten Journalist*innen beachten, wenn ihre Recherchen mächtige Interessen aufdecken und reale Auswirkungen haben?

Die grundlegendste Frage, die man sich als investigativer Journalistin am Anfang stellen sollte, ist:
Dient die Geschichte, an der ich arbeite, dem öffentlichen Interesse? Inwiefern nützt sie der Gesellschaft?

Diese Frage muss man sich stellen, bevor man überhaupt mit der Recherche beginnt. Und es ist eine Geschichte, die sich aufbaut – man macht nicht heute eine große Enthüllung und springt morgen zur nächsten. Man baut aufeinander auf.
Wenn man zum Beispiel einen Korruptionsfall in Berlin aufgedeckt hat, fragt man sich sofort: Vielleicht habe ich diesen einen Fall aufgedeckt, aber es gibt möglicherweise zehntausende ähnliche – nicht nur in Berlin, sondern in anderen Städten, in Deutschland, Europa oder weltweit.

Der Gedanke muss also immer sein: Wie kann ich meine Arbeit noch stärker am öffentlichen Interesse ausrichten?
Wenn man diese Frage klar beantworten kann – so profitiert die Öffentlichkeit von meiner Arbeit – dann wird die Recherche wirkungsvoller und der eigene Einsatz lohnender.
 

Welche Machtmuster und Formen von Straflosigkeit begegnen Ihnen immer wieder in Ihrer Arbeit?

Wenn es um Kriminalität und Korruption geht, wiederholen sich bestimmte Muster ständig.
Wenn ein Krimineller sieht, dass eine bestimmte Methode in einem Land funktioniert, wird er sie überall anwenden – immer wieder, auf die gleiche Weise.

Das gilt für korrupte Politiker, Unternehmen, Hacker – und leider auch für Journalist*innen. Auch in den Medien gibt es durchaus Korruption.

Sobald man ein Muster erkennt, ist es wichtig, es mit anderen Journalist*innen zu teilen und gemeinsam, grenzüberschreitend, die größere Geschichte dahinter aufzudecken.
Denn es gibt immer eine größere Geschichte. Der Fall, den man gerade untersucht, ist meist Teil eines umfassenderen Systems – eines Systems von Korruption, eines Systems zur Umverteilung öffentlicher Gelder und Interessen.

Deshalb ist es so wichtig, investigativen Journalismus immer in ein größeres Bild einzuordnen – gemeinsam mit anderen Journalistinnen, aber auch mit Aktivistinnen und Menschen aus anderen Bereichen, die gemeinsam an einer besseren Gesellschaft arbeiten.
 

Wo sehen Sie die größten blinden Flecken im Umgang von Regierungen und internationalen Institutionen mit Korruption?

Aus unserer Sicht ist das eigentlich ganz einfach:
Wenn es um hochrangige Korruption geht – also die Art von Korruption, die ganze Länder ausplündert und Menschen um Milliarden bringt –, dann ist sie immer transnational.

Das Problem ist: Nationalstaaten haben eigene Strafverfolgungsbehörden – aber diese Behörden dürfen nur innerhalb ihrer Landesgrenzen ermitteln. Sie werden von den Steuerzahlerinnen ihres jeweiligen Landes bezahlt.
Wenn also ein Politiker ein Netzwerk nutzt, um in Land A Geld zu stehlen und es in Länder B und C zu investieren, dann gibt es keine staatliche Stelle, die diesen Fall vollständig aufklären kann – außer investigative Journalisti*nnen und Aktivist*innen.

Unsere größte Schwäche ist also der Mangel an echter, grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Das wiederum lässt viel Raum für Kriminelle, die sehr wohl international kooperieren.

Man stelle sich vor: Iranische und israelische Ermittler arbeiten zusammen, um einen Korruptionsfall aufzuklären, der beide Länder betrifft. Undenkbar. Aber genau das tun Kriminelle – mit völliger Straflosigkeit.

Wir haben das auf dem Balkan gesehen: Während es politische Spannungen zwischen Serben und Kosovaren gab, arbeiteten Waffen- und Drogenschmuggler von beiden Seiten problemlos zusammen. Diese Leute interessiert nur das Geld. Der Mangel an internationaler Zusammenarbeit ermöglicht es diesen Netzwerken, zu florieren – und wieder sind es vor allem Journalistinnen und Aktivistinnen, die versuchen, sie zu stoppen.


Welche Rolle spielt Journalismus im Kampf gegen Korruption?

Investigativer Journalismus spielt eine zentrale Rolle.
Wir sind diejenigen, die Korruption sichtbar machen können. Wir arbeiten mit Daten und erzählen Geschichten, um den Kontext zu erklären – also das Warum hinter der Korruption.

Ein Beispiel: Eine Milliarde Dollar wurde aus Ghana gestohlen.
Wenn dieses Geld durch eine Schweizer Bank geschleust wurde, fragt man sich automatisch: Moment – diese Bank bewegt Billionen. Wie viel anderes schmutziges Geld ging noch durch ihre Bücher?

Investigative Journalist*innen sind diejenigen, die eine Art Bauplan entwickeln können, um systemische Korruption aufzudecken – Korruption, die von Banken und Strukturen ermöglicht wird, die nicht im Interesse der Öffentlichkeit handeln.


Wann verschiebt sich die Rolle einesr Journalistin vom Beobachter zur Fürsprecherin – und sollte sie das überhaupt?

Das ist eine sehr schwierige Frage.
Bei OCCRP sehen wir uns nicht als Aktivist*innen, sondern bleiben investigative Journalist*innen. Gleichzeitig besteht unser Netzwerk aus 70 Investigativzentren weltweit – und die kulturellen Kontexte unterscheiden sich.

Manche Journalist*innen sind in ihren Ländern auch Aktivist*innen – und ich finde, das ist nicht falsch.
Es hängt vom Kontext ab, vom Moment, von der Kultur eines Landes.

Wir werden allerdings dann aktivistischer, wenn unsere eigene Branche angegriffen wird – wenn Journalist*innen schikaniert, verhaftet, festgehalten oder getötet werden. Dann lassen wir auch bei OCCRP Aktivismus zu.

Das heißt aber nicht, dass wir jemandem verbieten würden, sich als Aktivist*in zu engagieren. Das wäre nicht richtig.
Es ist wichtig, solche Diskussionen zu führen: Warum wurde dieser Reporter in Peru oder Ecuador in einem konkreten Fall zum Aktivisten?
Wir schließen niemanden aus dem Netzwerk aus, weil er oder sie in einem Fall aktivistisch geworden ist.

Es gibt viele unterschiedliche Situationen und Geschichten. Manchmal diskutieren wir – auch hitzig – darüber, was noch investigativer Journalismus ist und was bereits Aktivismus.

Diese Debatte ist wichtig. Es gibt keine goldene Regel. Die Dinge verändern sich.

Am Ende des Tages arbeiten wir alle im öffentlichen Interesse.
Und wenn das öffentliche Interesse dient – dann ist das, was zählt.

Kajo Roscher
Redakteurin

Kajo Roscher ist in Berlin geboren und studiert aktuell Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. 2023 hat they ein Praktikum bei der taz gemacht und veröffentlichte Artikel im Berlin- und Kulturteil der taz. Vor dem Studium nahm Kajo Roscher am Journalismus Programm der School of The New York Times teil und absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr beim Human Rights Film Festival Berlin.

Mehr Beiträge von dieser Person  

Kategorien

D'Hub
D'Lounge
D'Salon
Festival
Filme
Interview
Podcast
Sachbuch
VX

Hashtags

  • demokratie
  • gesellschaft
  • menschenrechte
  • kultur
  • kunst
  • musik
  • berlin
  • umwelt
  • jugend
  • journalismus

Neuste Beiträge

07.07.2025

„Hinter jeder Geschichte steckt etwas Größeres.“

Wir durften auf der diesjährigen Doxumentale Paul Radu begrüßen – Mitgründer des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP). Im Interview mit ihm sprachen wir über transnationale Korruption, die fließende Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus – und darüber, warum sich die Systeme, die Macht schützen, nur durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit aufdecken lassen.

03.07.2025

„Man braucht öffentliche Empörung – nichts ist wirkungsvoller.“

Bei der diesjährigen Doxumentale trafen wir den Mitgründer von Global Witness zum Gespräch über die Strategien der Machterhaltung, warum Aufklärung allein nicht reicht – und was es braucht, um die Strukturen globaler Korruption sichtbar zu machen.

[Translate to German:]
03.07.2025

„Es geht darum, Menschen zu berühren – im Herzen, im Körper, in der Seele."

Kumi Naidoo ist eine der prägendsten Stimmen für Klimagerechtigkeit und Menschenrechte weltweit. Bei der diesjährigen Doxumentale durften wir ihn zur Vorführung von Wild Coast Warriors begrüßen und hatten die Möglichkeit mit ihm zu sprechen.

RSS-Feeds

  • Recent posts
Festival

Die Geschichten hinter den Schlagzeilen

11.06.2025

Wie können wir Angst, Desinformation und extremistische Manipulation bekämpfen? Regisseurin Havana Marking erzählt von einer mutigen und hochaktuellen Recherche über den fragilen Zustand unserer Demokratien.

Interview

„Das sind echte Menschen, echte Gesichter, echte Leben.“

10.03.2025

In einem intimen Gespräch sprachen wir mit Mstyslav Chernov, Journalist und Regisseur von „20 Tage in Mariupol" über die Kraft des Dokumentarfilms, die brutale Wahrheit des Krieges sichtbar zu machen, über die Widerstandskraft der ukrainischen Bevölkerung und über seinen neuesten Film „2000 Meters to Andriivka".

Interview

„Eine schräge Form der Normalität"

19.02.2025

Ein Interview mit Hendrik Bolz, Host des "Springerstiefel Podcasts" über Rechtsextremismus in den 90ern und heute. Was sich verändert hat, was sich nicht verändert hat und warum wir hoffnungsvoll sein sollten.

Gefördert von
Gefördert vom Medienboard Berlin Brandenburg
  • Programm
  • D'Hub
  • Magazin
  • Kategorien
  • Tags
  • Autoren
  • Suche
  • Merkliste
  • Tickets
  • Archiv
  • Kontakt
  • Team
  • Presse
  • Datenschutz
  • AGB
  • Impressum
  • Cookie-Settings
...