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Was passiert, wenn die Ordnung wankt – und wir für einen Moment aus uns selbst heraustreten? Ein Blick auf das Unfassbare, das sich nicht vorhersagen und nicht festhalten lässt. Ein Essay von Racha Kirakosian.
Ekstase – ein Begriff, der oft beiläufig verwendet wird, um ein starkes Glücksgefühl zu beschreiben. Doch er umfasst viel mehr. Ekstase ist ein Ausnahmezustand: ein Moment, in dem sich Grenzen des Körpers, der Wahrnehmung und der Sprache verschieben. Sie tritt auf in Musik, Tanz, Rausch, Ritual, Schmerz, Massenerfahrung – und selbst im Flow der Arbeit oder in der Begegnung mit Kunst. Was all diese Erfahrungen verbindet, ist das Heraustreten aus dem Gewohnten, das Verlassen der vertrauten Ordnung – zumindest für einen Augenblick.
In Berauscht der Sinne beraubt wird die Ekstase nicht als ein einheitlicher Begriff behandelt, sondern als ein vielgestaltiges Phänomen, das sich je nach Kontext anders zeigt: manchmal laut, manchmal leise. Manchmal aufbauend, manchmal zerstörerisch. Sie kann als heilig gelten oder als skandalös, als Ziel spiritueller Praxis oder als Kontrollverlust – als Moment der Erleuchtung oder als Irritation.
Diese Ambivalenz ist kein Nebenaspekt, sondern ihr Kern. Ekstase bewegt sich immer zwischen Extremen: zwischen Entgrenzung und Disziplin, zwischen Anziehung und Angst. Und genau hier liegt ihre Kraft. Ekstase entzieht sich der Eindeutigkeit. In manchen Kontexten wird sie gefeiert, in anderen bekämpft oder pathologisiert. Ihre Bewertung sagt oft mehr über die Gesellschaft aus, in der sie auftritt, als über das Phänomen selbst.
Die thematischen Felder, die sich öffnen, sind vielfältig: Ekstase als Moment der Erkenntnis – etwa in Visionen, Träumen oder Flow-Zuständen. Ekstase als Grenzerfahrung des Schmerzes – zwischen religiöser Opferbereitschaft und psychischer Überforderung. Ekstase als Projektionsfläche – etwa in der Konstruktion von Weiblichkeit, in der Zuschreibung von Hysterie oder spiritueller Erleuchtung. Und schließlich Ekstase in der Masse – zwischen kollektiver Euphorie und politischer Instrumentalisierung.
Ekstase ist weder rein individuell noch eindeutig kulturell kodiert. Sie entsteht in Reibung: zwischen Körper und System, zwischen Innen und Außen, zwischen Ausdruck und Erwartung. Gerade dort, wo sie nicht eindeutig benennbar ist, entfaltet sie ihre produktive Spannung.
Ekstase ist kein Zustand, der sich festhalten lässt. Aber ihre Formen hinterlassen Spuren – in Texten, in Bildern, in Körpern. Und genau diese Spuren machen sie sichtbar als Teil kultureller Praktiken. Nicht als Ausnahme, sondern als etwas, das tief mit unserem Denken, Fühlen und Erleben verwoben ist. Die Beschäftigung mit Ekstase ist keine Flucht aus der Realität, sondern ein Blick auf die Bruchstellen der Realität. Und manchmal – auf das Potenzial dieser Bruchstellen.
Wir freuen uns riesig, Racha auf unserem Festival begrüßen zu dürfen! Verpasse nicht ihre Live Lesung am 15. Juni um 20 Uhr in den Atelier Gardens!