© Claudia Burger
Die Fuckup Night Berlin rückt das Scheitern ins Rampenlicht – und nimmt ihm das Stigma. Wir haben mit Mitbegründer Ralf Kemmer darüber gesprochen, warum es wichtig ist, Fehler zu teilen, wie Unternehmen eine echte Fehlerkultur entwickeln können und warum der nächste Fuckup immer der spannendste ist.
Ich bin Ralf Kemmer, ich bin der Initiator der Fuckup Night in Berlin. Wir veranstalten die Fuckup Night seit 2014, also mittlerweile zehn Jahre, und versuchen sie kontinuierlich alle Vierteljahre zu organisieren. Vielleicht habt ihr sie schon gesehen oder wart sogar schon mal dabei – wir sprechen immer über das Scheitern, also über Fuckups im Business-Kontext. Warum ist jemand gescheitert? Woran ist man gescheitert? Wie geht es einem dabei und wie danach? Das sind die Themen, die wir immer verhandeln.
Die Fuckup Night ist eigentlich in Berlin entstanden durch eine Freundschaftsgeschichte. Einer unserer besten Freunde, Marcus, hat die erste Fuckup Night in Deutschland damals in Düsseldorf veranstaltet. Er fragte mich, ob unser gemeinsamer Freund Patrick dort sprechen würde. Patrick ging es damals nicht so gut – er hatte ein gescheitertes Label hinter sich. Er fuhr nach Düsseldorf, hielt seinen Vortrag, kam zurück und meinte: „Das war eine grandiose Veranstaltung, lass uns sowas in Berlin machen!“ Das war 2014, und seitdem machen wir das hier in Berlin.
Naja, sowohl als auch. Grundsätzlich fällt es eigentlich allen schwer. Das ist eine psychologische Sache – menschlich gesehen wollen wir nicht über Fehler sprechen, weil wir uns dafür schämen. Im Business-Kontext haben wir Angst vor Sanktionen oder davor, nicht mehr ernst genommen zu werden. Da kommen viele verschiedene Faktoren zusammen.
Zudem ist es auch ein kulturelles Problem. Deutschland steht in internationalen Vergleichen weit unten, wenn es um den offenen Umgang mit Fehlern geht. Es gibt dazu Studien und Umfragen. Bevor wir über Fehler sprechen, muss hierzulande schon einiges passieren. Schwieriger ist es teilweise noch in asiatischen Kulturen – wobei sich das auch verändert, denn dort gibt es durchaus eine Fehlerkultur, die auf Verbesserung abzielt. In Deutschland hingegen ist vor allem die Zielerreichung das Wichtigste, und der Weg dahin sollte möglichst gradlinig sein. Das ist ein typisch deutsches Phänomen.
Wir veranstalten Workshops für Unternehmen und haben relativ schnell gemerkt, dass unsere öffentlichen Veranstaltungen zwar interessant für das Publikum sind, Unternehmen selbst aber etwas anderes brauchen. Sie benötigen Tools, Formate und konkrete Ansätze, um eine Fehlerkultur bei sich zu implementieren.
Das ist nicht so einfach. Wir starten meist damit, das Thema erst einmal anzustoßen und zu diskutieren, um ein grundlegendes Verständnis dafür zu schaffen. Schon das ist oft schwierig genug. Der nächste Schritt ist, Workshops durchzuführen, in denen offen über Fehler gesprochen wird. Menschen müssen untereinander Offenheit entwickeln und sich auch verletzlich zeigen können. Manche suchen in diesen Runden gezielt Rat für ihren weiteren Weg.
Wichtig ist, dass eine Fehlerkultur nur funktioniert, wenn sie von der Führungsebene mitgetragen und vorgelebt wird. Wenn das nicht passiert, kann sie sich von unten nach oben nicht entwickeln. Wir sehen oft großartige Initiativen in Unternehmen, aber ohne Unterstützung von oben wird es schwierig. Manchmal sind wir mit unseren Workshops nur der „Zirkus in der Stadt“ – alle machen begeistert mit, aber danach flacht es wieder ab, weil es zu anstrengend wird oder aus Kostengründen nicht weiterverfolgt wird. Das ist sehr unterschiedlich.
Das Thema hat sich in den letzten Jahren definitiv entwickelt. Seit 2014 sind Konzepte wie „New Work“ aufgekommen, und die Coronakrise hat viele Fehler offengelegt und teilweise auch zum offenen Umgang mit ihnen gezwungen.
Es gibt Unternehmen, die dafür offen sind, aber wirklicher Fortschritt ist schwer in der Breite zu erkennen. Viele sind begeistert von der Idee, aber sie verstehen nicht, dass es eine kulturelle Transformation erfordert – und Kultur braucht Zeit. Viele Unternehmen geben zu früh auf, weil sie nicht durchhalten. Das ist das größte Problem.
Die Fuckup Night ist unser Hauptformat – das heißt, es gibt drei Speaker*innen, und als vierter Slot ist immer ein Open Mic dabei. Wer will, kann spontan auf die Bühne kommen und seine Geschichte erzählen.
Wir variieren aber auch das Format. Wir haben Impulsvorträge auf Messen oder in Unternehmen, die 30 bis 45 Minuten dauern. Wir veranstalten Podiumsdiskussionen, zum Beispiel bei der „Langen Nacht der Wissenschaften“, und wir experimentieren mit verschiedenen Workshop-Formaten.
Eine Herausforderung ist immer die Balance zwischen Reichweite und Interaktion. Wenn wir zu groß werden, leidet die intime Atmosphäre. Unser Publikum ist bisher sehr wohlwollend und unterstützend gegenüber den Speaker*innen – das wird schwieriger, wenn das Event wächst. Deshalb überlegen wir genau, wie weit wir es öffnen wollen.
Ich denke, das ist ein super Setting, in das wir integriert werden. Wir haben die letzte Ausgabe als Publikum miterlebt und waren begeistert – das hat uns überzeugt, dabei sein zu wollen. Ich glaube, dass dort eine andere Dynamik entsteht – mit mehr Offenheit und Gemeinschaftsgefühl als bei einer singulären Veranstaltung. Ein Festival bringt eine ganz andere Energie mit sich. Zudem passt das Thema perfekt, weil wir wissen, dass auch der Dokumentarfilm viele Fuckups beinhaltet. Darüber zu sprechen wird spannend.
Da kriegst du keine Antwort drauf! Das ist die Frage, die wir immer gestellt bekommen. Wir haben kürzlich mit FluxFM – einem unserer Medienpartner – über die größten Highlights der letzten zehn Jahre gesprochen. Es gibt viele Fuckups, die aus unterschiedlichen Perspektiven spannend sind. Manchmal geht es um persönliche Geschichten, manchmal um systemische Probleme. Wir hatten Speaker*innen, die extrem innovativ waren, aber an banaler Bürokratie gescheitert sind. Für uns ist eigentlich immer das nächste Fuckup das spannendste, weil es gerade frisch erzählt wird.
Grundsätzlich: Offenheit. Die Offenheit, dass man scheitern kann. Immer. Und wenn man das reflektiert, kann man daraus lernen und überlegen, wie man etwas neu anpackt. Die Menschen, die bei uns sprechen, sind oft sehr ideengetrieben und wollen etwas erreichen. Das sollte man sich bewahren. Man sollte keine Angst vor dem Scheitern haben.